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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 29.10.2014


Zwei Tage, eine Nacht – ein Film mit Marion Cotillard. Kinostart: 30. Oktober 2014
Kristina Tencic

Wo hört die Solidarität unter KollegInnen auf und wo fängt der Egoismus an? Diese Frage stellen sich die für ihre sozialkritischen Filme bekannten Brüder Dardenne. Mit einer unaufdringlichen...




... Kameraführung und feinem Gespür für die Gespräche, die zwischen den Zeilen stattfinden, begleiten sie eine junge Mutter, wie sie sich gegen den Einzug des kalten Kapitalismus in eine mittelständische Firma stemmt.

Wären Sie dazu bereit, auf Ihre Jahresprämie zu verzichten, wenn dafür einem/r ArbeitskollegIn die Kündigung erspart bleibt? Die Antwort scheint einfach, doch denken Sie nur mal, was Sie mit 1.000 Euro alles machen könnten, was Sie sich vielleicht normalerweise nicht leisten können: Die Studiengebühren Ihres Kindes bezahlen, endlich die Terrasse ausbessern, sich die Strom-und Gaskosten für ein Jahr vom Halse schaffen. Die Liste der Argumente ist lang, nicht wahr?

Sandra (Marion Cotillard) versucht es trotzdem. "Sei stark" sagt sie zu sich im Spiegel. "Ich bin noch nicht soweit, ich bin ein Krüppel" sagt ihre andere Stimme. Sie fühlt sich noch schwach nach einer gerade erst abgeklungenen Depression, die sie für längere Zeit ans Bett fesselte. 14 von 16 KollegInnen haben während ihrer Abwesenheit gegen Sandra und für ihre Prämie gestimmt. Nur eine einzige Arbeitskollegin setzt sich für sie ein und fordert vom Chef eine erneute, geheime Abstimmung aufgrund der vermeintlichen Wahlbeeinflussung des Vorarbeiters bei der ersten Abstimmung. Widerwillig lässt er sich darauf ein.

Doch was für einen gesunden Menschen schon eine belastende Situation darstellt, lässt Sandra nur noch mehr aus den Fugen geraten und in gerade abgelegte Verhaltensmuster hineinfallen: Sie nimmt erneut Antidepressiva, ist stets schläfrig und schleppt sich nur mühsam voran. Die Mutter zweier Kleinkinder durchlebt wortwörtliche Existenzängste, die sie dazu treiben, ihre eigene Existenz in Frage zu stellen. Ihr Ehemann (Fabrizio Rongione) und ihre Kollegin geben sie nicht auf, Sandra soll es doch wenigstens versuchen, die KollegInnnen zu Hause besuchen und sie persönlich umstimmen. Zwei Tage und eine Nacht, nur ein Wochenende bleibt ihnen, um 14 KollegInnen von der Gier zur Güte zu bekehren.

Das Duo Jean-Pierre und Luc Dardenne bleibt sich treu. "Zwei Tage, eine Nacht" ist ein Soziodrama, das ein so brisantes wie reales Thema im Kontext des belgischen ArbeiterInnenmilieus behandelt. Angefangen mit ihrem ersten Spielfilm "Falsch" (1986) über "Das Versprechen" (1996), "Rosetta" (1999) und "L´enfant" (2005), bis hin zu "Lornas Schweigen" (2008) und "Der Junge mit dem Fahrrad" (2011), erzählen die Dardenne-Brüder von AlltagsheldInnen und den Facetten ihrer Schicksale. Es sind authentische Zeugnisse der Ereignisse, die für gewöhnlich lediglich in Statistiken erfasst werden oder eine Randnotiz in der Lokalzeitung darstellen. Seit ihrer Entdeckung auf dem Festival in Cannes mit "Rosetta", gehören die beiden Filmemacher dort mittlerweile schon zum Inventar mit zwei goldenen Palmen (nur sieben Regisseuren ist das je gelungen), zahlreichen weiteren Auszeichnungen und 2012 erstmals auch als Juryleitung.

AVIVA-Tipp: Umstrukturierung, Personalfreistellung, Wettbewerbsoptimierung … mensch kennt sie gut, die Euphemismen für Entlassungen, doch die Einzelschicksale geraten oft aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. "Zwei Tage, eine Nacht" besticht und bewegt durch seine Einfachheit. Das Soziodrama schrumpft neoliberale Theorie auf den Fall der Sandra herab und konfrontiert uns undogmatisch mit dieser oft verdrängten inneren Stimme, unserer uns eigenen Moral. Ein großer, doch indes leiser Film, der Mitgefühl hervorruft, aber auch zum Mitfiebern im Rennen gegen die Zeit bewegt.

Zur Hauptdarstellerin: Marion Cotillard wurde 1975 in eine Schauspielfamilie in Paris hineingeboren. Bereits als Kind stand sie ihrem Vater Jean-Claude Cotillard in kleineren Rollen zur Seite. Nach ihrem Studium der Dramaturgie am Conservatoire d´Art Dramatique in Orleans begann sie ihre eigenständige Karriere mit Auftritten in Fernsehserien und bald darauf mit ihrem ersten Spielfilm "Die Geschichte des Jungen, der geküsst werden wollte (1994). Erste internationale Beachtung erlangte die Schauspielerin 1998 mit ihrer Rolle in "Taxi" (auch zu sehen in "Taxi Taxi" und "Taxi 3"). In Frankreich gelang ihr der Durchbruch mit "Liebe mich, wenn du dich traust" (2003), doch spätestens seit sie den Oscar für ihre Rolle der jungen Edith Piaf in "La Vie En Rose" (2007) erhalten hat, kennt sie jede/r. Heute gehört sie zu den bestbezahltesten Schauspielerinnen Frankreichs und Hollywoods.

Zwei Tage, eine Nacht
Originaltitel: Deux jours, une nuit
Belgien, Frankreich, Frankreich, Italien 2014
Regie, Drehbuch, Produzent: Jean-Pierre und Luc Dardenne
DarstellerInnen: Marion Cotillard, Fabrizio Rongione, Pili Groyne, Simon Caudry u.v.m.
Spielzeit: 95 Minuten
FSK: ab 6 Jahre
Filmverleih: Im gemeinsamen Verleih mit Wild Bunch Germany

Kinostart: 30. Oktober 2014
Mehr zum Film unter: www.zweitage-einenacht.de

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Beitrag vom 29.10.2014

Kristina Tencic